22. April 2020 - Orgelmusik aus St. Petri mit geistlichem Impuls

Kurzimpuls EG 366 „Wenn wir in höchsten Nöten sein“

Eine Choral-Improvisation im Stile Max Regers (1873-1916) hat Enno uns am letzten Sonntag aufgenommen. Auch wenn sie nicht jedermanns Sache sind, ich mag Regers Kompositionen tatsächlich ganz gern. Reger war ein großer Meister der romantischen Musik. Er verstand es, die Möglichkeiten der Harmonien und der Komposition auszureizen, er schwelgte dabei in bunten Klangfarben und komponierte Werke, die von seinem großen musikalischen Anspruch zeugen.

Aber gerade das macht die Musik auch oft so anstrengend: Reger machte es sich eben nicht leicht. Er wiederholt sich nicht und produziert immer neue Harmonien und Stimmungen und Farben, … Manchmal habe ich beim Hören das Gefühl, er rudert und rudert, er kämpft mit immer Neuem… – aber er kommt einfach nicht am Ziel an. Spannungen werden aufgebaut – und brechen wieder in sich zusammen. Noch ein Anlauf: Wieder baut sich die Spannung auf, steigert sich – und bricht in sich zusammen. So geht das immer weiter, bis dann endlich das große Finale erreicht ist, und dann reicht ein fortississimo kaum noch aus. Da hat Enno sich ganz schön was vorgenommen, habe ich mir gedacht, andererseits passt aber gerade auch diese ungestüme und drängende, dann aber doch auch wieder zögernde und ruhende Musik, wie ich finde, wunderbar zu unserer derzeitigen Situation.

Das Lied, das er sich ausgesucht hat, in unserem Gesangbuch die Nummer 366, wurde 1543 von Paul Eber (1511-1569) getextet. Mitten aufgewühlten Zeiten der Reformation drückt Eber, ein Theologe, der in Wittenberg wirkte, seine unerschütterliche Zuversicht im Glauben aus: Gott wird uns helfen. So wie es einst in der Bibel König Joschafat bekannt hat: Wenn Unglück, Schwert, Strafe, Pest oder Hungersnot über uns kommen, werden wir vor dir stehen, Gott, und zu dir schreien in unserer Not, und du wirst hören und helfen. (2. Chronik 20, 9)

    1. Wenn wir in höchsten Nöten sein
    und wissen nicht, wo aus noch ein,
    und finden weder Hilf noch Rat,
    ob wir gleich sorgen früh und spat,
    2. so ist dies unser Trost allein,
    dass wir zusammen insgemein 
    dich anrufen, o treuer Gott,
    um Rettung aus der Angst und Not,

Wir erfahren gerade auf bittere Weise, wie zeitlos diese Worte sind. Fast 500 Jahre nachdem dieses Hoffnungslied getextet wurde, erleben wir eine der Nöte, die auch Paul Eber vor Augen hatte: Eine nicht zu bändigende Krankheit. Immer wieder zogen im Laufe der Jahrtausende verheerende Seuchenwellen übers Land und stürzten die Menschen in große Not. Zur Krankheit – am schlimmsten war natürlich immer wieder die Pest – kamen dann oft Hungersnöte, weil Menschen krank darniederlagen oder starben, und die Felder nicht bestellt werden konnten.

Was wir heute erleben, fühlt sich tatsächlich ein wenig wie eine aktualisierte Version mittelalterlicher Seuchen an. Erst kommt die Krankheit mit Leid und Schmerz, dazu kommt der wirtschaftliche Einbruch… Es wird nach Auswegen aus der Katastrophe gesucht, aber auch nach Ursachen. Für die Menschen der früheren Zeiten war diese allerdings oft nicht ersichtlich. Wie viele andere Katastrophen auch hielt man Krankheiten für Strafen Gottes, mit denen er die Menschen zur Umkehr aufrufen will. Darum mündet die Klage der Not in Ebers Lied auch in den Hilferuf nach Linderung der Strafe:

    3. und heben unser Aug und Herz
    zu dir in wahrer Reu und Schmerz
    und flehen um Begnadigung
    und aller Strafen Linderung,
    4. die du verheißest gnädlich
    allen, die darum bitten dich
    im Namen deines Sohns Jesu Christ,
    der unser Heil und Fürsprech ist.

Ist Covid-19 eine Strafe Gottes? Tatsächlich gab es ja neben allerlei Verschwörungstheorien solche Äußerungen. Ist Gott ein strafender Gott? – Wenn dem so wäre, müsste meine Bibel ein Fehldruck sein, denn dort lese ich eindeutig, dass Gott versprochen hat, die Menschen eben nicht (mehr) zu strafen (1. Mose 8,21), sondern sie sogar so sehr liebt, dass er bereit war, seinen Sohn für sie zu geben (Johannes 3,16).

Wir sind heute vielleicht schlauer und erklären Unheil nicht mehr mit einem strafenden Gott. Aber doch finde ich es nicht falsch, auch in dieser Krise einen Moment innezuhalten und zu überlegen, was falsch gelaufen ist und was zu diesem schlimmen Ausbruch der Krankheit geführt hat. Dabei ist durchaus auch Selbstkritik erlaubt! Wenn Fortschritt und Freiheit kaum noch Grenzen kennt, hätte man dann nicht zumindest auch damit rechnen können, dass Gefahren hinter diesen Entwicklungen lauern könnten? Ich halte es für müßig, einen Schuldigen für den Ausbruch von Covid-19 zu suchen, aber ich würde mir wünschen, dass wir aus den Fehlern, an denen wir alle nicht ganz unbeteiligt waren oder die wir zumindest billigend in Kauf genommen haben, lernen würden. Reisen in aller Herren Länder, möglichst billige Waren, die überall auf der Welt produziert werden, die grenzenlose Ausbeutung der Natur… - das alles hat seinen Preis. Ein Anfang wäre ja schon, wenn wir uns wenigstens dazu bekennen könnten.

    5. Drum kommen wir, oh Herre Gott,
    und klagen dir all unsre Not,
    weil wir jetzt stehn verlassen gar
    in großer Trübsal und Gefahr.
    6. Sieh nicht an unsre Sünden groß,
    sprich uns davon aus Gnaden los,
    steht uns in unserm Elend bei,
    mach uns von allen Plagen frei,

Noch schöner wäre es, wenn uns dann schließlich auch eine Wende gelänge. Paul Eber blickt in seinem Lied am Ende sogar bis in die Ewigkeit, in Gottes Reich. Er erinnert dabei zugleich noch an etwas, das aber auch nicht vergessen werden darf: Der Dank an Gott für seine Bewahrung und Rettung. Ich wünsche uns allen, dass wir bald schon wieder dahin kommen werden, dass unser Herz von Freude überströmt, weil ER geholfen hat. Ich hoffe aber auch, dass unser Mund den Dank an Gott dafür nicht vergisst.

    7. auf dass von Herzen können wir
    nachmals mit Freuden danken dir,
    gehorsam sein nach deinem Wort,
    dich allzeit preisen hier und dort.

Pastor Michael Glawion

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